Michel Friedman: Fremd. Berlin Verlag, Berlin 2022, 176 S. ISBN 978-3-8270-1461-0. Open Access

by Michael Dallapiazza (Author)
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Journal: Jahrbuch für Internationale Germanistik, Volume 54, Issue: 3, pp. 193-195

Außerhalb Deutschlands (und Israels) ist Michel Friedman weitgehend unbekannt, auch wenn er von 2001 bis 2003 Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses war. Er gehörte seit den Neunziger Jahren zu den wichtigsten Persönlichkeiten der politisch-kulturellen Öffentlichkeit, als Politiker, Journalist, Publizist und als Fernsehmoderator, und ist eine der wenigen deutschen jüdischen Stimmen, die sich Gehör zu schaffen wissen. So bekannt er auch war, und inzwischen wieder ist, geliebt wurde er von der Mehrheit sicher nicht, die ihn als polarisierend, scharfzüngig und unversöhnlich empfindet. Dies übrigens zu Recht! Er hatte auch durchaus Einfluss auf die politischen Geschehnisse, etwa als stellvertretender Vorsitzender des Zentralrats der Juden, mit dem zusammen er 2002 einen öffentlichen Antisemitismusstreit mit dem FDP-Politiker Möllemann führte. Aufmerksamkeit erhielt 1998 auch sein Beitrag zur Walser-Bubis-Debatte. Der Sohn polnischer Juden, die dem Schicksal fast aller Angehörigen ihrer Familie, in Auschwitz ermordet zu werden, nur dank Oskar Schindler entgehen konnten, wurde 1956 in Paris geboren. 10 Jahre später emigrierte die Familie nach Deutschland, ins Land der Täter, in dem zwar gerade Fritz Bauer mit nahezu übermenschlicher Energie die Frankfurter Auschwitz-Prozesse ins Werk setzen konnte, von deren Scheitern er aber bis zu seinem Tod 1968 überzeugt war. Was Adorno 1959 in seinem Aufsatz „Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit?“ über das ungelöste Verhältnis Deutschlands zu seiner Geschichte konstatieren musste, bestimmte weiterhin, und noch für lange Zeit, bis heute vielleicht, die deutsche Realität.

Pages:
3
Year:
2022
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