Journal: Jahrbuch für Internationale Germanistik, Volume 54, Issue: 3, pp. 207-208
Als Walter Müller-Seidel 2010 nach einem erfüllten Wissenschaftlerleben zweiundneunzigjährig starb, gehörten viele seiner Arbeiten längst zum Kanon der internationalen germanistischen Diskussion, man denke an die Fontane-Monographie Soziale Romankunst in Deutschland (1975), und das letzte veröffentlichte Werk Friedrich Schiller und die Politik. Nicht das Große, nur das Menschliche geschehe (2009) wurde sofort zu einem Meilenstein der Schiller-Forschung. Eines seiner Forschungsfelder, mit dem er sich zunehmend befasste und das in der germanistischen Diskussion oft eher stiefmütterlich behandelt wird, war dem Verhältnis von „schöner“ Literatur und Medizin, Psychiatrie und allgemein den Naturwissenschaften gewidmet, und der Frage, wie sich in deren Wechselspiel und in der Epoche, die man gerne die Sattelzeit nennt, die Humanitätsidee herausbildete. Vor allem aber fragten seine Forschungen nach den Krisen der Humanitätsidee auf dem Weg in die Moderne, so der Untertitel der ersten hier wieder abgedruckten, als Einleitung dienenden Untersuchung Medizin im literarischen Text. Ein Text, den jeder Germanist gelesen haben sollte. Programmatisch zitiert er hier einen auch in anderen Zusammenhängen von Müller-Seidel gern benutzten Satz Brechts aus dem „Galilei“: